Modern Monetary Theory und Arbeitswert

Karl Czasny

1. Problemstellung im historischen Kontext

Eine kopernikanische Wende

Seit dem Ausbruch der Eurokrise erschien eine Reihe wissenschaftlicher Publikationen, die Thesen der sogenannten Modern Monetary Theory (MMT) vertreten bzw. diskutieren. Zuletzt versuchten mehrere Sachbücher diese Theorie einer breiteren Leserschaft näher zu bringen – etwa:

  • „Modern Monetary Theory: Eine Einführung“ von Dirk Ehnts,
  • „Die monetäre Maschine. Eine Kritik der finanziellen Vernunft“ von Aaron Sahr und
  • „Staat Macht Geld: Modern Monetary Theory oder das Ende der schwarzen Null“ von Monika Stemmer,

Auch in Publikationen, die sich vorrangig anderen Fragestellungen widmen, spielen die geldtheoretischen Annahmen der MMT eine wichtige Rolle. Als Beispiel sei hier Joscha Wullwebers Buch „Zentralbankkapitalismus“ angeführt, dessen Thema die im Untertitel genannten „Transformationen des globalen Finanzsystems in Krisenzeiten“ sind.

Die MMT entstand schon knapp vor der Jahrtausendwende in den USA als Reaktion auf das herrschende Credo der Wirtschafts- und Finanzpolitik. Dieses geht von der Existenz eines privaten Wirtschaftskreislaufs aus, in dem das Geld als Zirkulationsmittel fungiert. Der Staat müsse sich zur Erfüllung seiner Aufgaben, das in jenem Kreislauf zirkulierende Geld durch Steuern besorgen und dort, wo sie nicht ausreichen, Schulden aufnehmen. Die Zentralbank habe unabhängig vom Staat zu agieren und durch ihre Zinspolitik für einen konstanten Wert des Geldes zu sorgen. Inflationäre Tendenzen müsse sie durch Anhebung der Zinsen bekämpfen, wobei der im Gefolge der Zinsanhebung auftretende Anstieg der Arbeitslosigkeit in Kauf zu nehmen sei.

Die der politischen Linken nahestehenden Schöpfer der MMT wollten solchen Fatalismus nicht hinnehmen und setzten dafür eine kopernikanische Wende in Gang, welche die eben skizzierte Sicht der Dinge auf den Kopf stellt. Aus ihrer Perspektive ist es der Staat selbst, der das Geld erschafft, indem er es als gesetzliches Zahlungsmittel deklariert. In den privaten Wirtschaftskreislauf gerät jenes Geld erst dadurch, dass der Staat mit seiner Hilfe Arbeiten für sich erledigen lässt. Auch die Rolle der Steuern verkehrt sich für diese Sichtweise ins Gegenteil: Sie dienen dem Staat nicht zur Beschaffung des von ihm benötigten Geldes. Vielmehr stellt die Steuerpflicht bloß sicher, dass die Akteure des privaten Sektors das ihnen im Zuge von Staatsaufträgen bezahlte Geld als Zahlungsmittel akzeptieren, weil sie damit ihre Steuern bezahlen können.

Der für die Linke wesentliche Aspekt dieser neuen Sicht auf das Geld besteht in dem viel größeren Spielraum für staatliche Budgetdefizite. Sie dürfen zwar auch aus Sicht der MMT nicht beliebig groß werden, weil in diesem Fall die produktiven Kapazitäten der jeweiligen Volkswirtschaft überfordert würden und eine nachfrageinduzierte Inflation entstünde. Mit entsprechender Unterstützung durch die ihre Geldschleusen öffnenden Notenbanken könnten (und sollten!) die Defizite jedoch stets bis zur Auslastung aller vorhandenen materiellen und personellen Ressourcen der Volkswirtschaft anwachsen. Damit wäre nicht nur Massenarbeitslosigkeit ein Problem von gestern. Es bestünden darüber hinaus auch gute Chancen, die vom neoliberalen Steuersenkungs-, Einsparungs- und Privatisierungsfuror zerstörten Strukturen der öffentlichen Daseinsvorsorge zu rekonstruieren und die im Zuge der anstehenden gesellschaftlichen Transformationen erforderlichen Investitionen zu tägigen.

In Europa gewann diese Position erst im Zug der Eurokrise an Bedeutung. Auf deren Ausbruch hatte die Europäische Union noch mit den von der Mainstream-Ökonomie empfohlenen Methoden reagiert. Als dann aber immer deutlicher wurde, dass dieses Vorgehen die Handlungsfähigkeit der Staaten entscheidend verringert, die Gefahr eines Zerbrechens der Währungsunion erhöht und die soziale Spaltung der Gesellschaft weiter vertieft, wuchs die Bereitschaft, sich mit dem in den USA entstandenen neuen Paradigma anzufreunden.

Eurokrise

Die Krisenanfälligkeit des Euro wurzelt in schweren Konstruktionsmängeln der europäischen Währungsunion. Deren größter Geburtsfehler ist die fehlende Berücksichtigung der wirtschaftlichen Ungleichgewichte zwischen den Euro-Ländern. Denn die von der Europäischen Zentralbank (EZB) mit einheitlicher Zins- und Geldpolitik gesteuerte gemeinsame Währung verunmöglicht es den wirtschaftlich schwächeren Staaten, ihre Mängel mit entsprechender Währungspolitik zu kompensieren. Diese Schwierigkeit hätte behoben werden können durch die Etablierung einer gemeinsamen Wirtschafts- und Finanzpolitik mit Möglichkeiten des Ausgleichs zwischen ökonomisch stärkeren und schwächeren Staaten und einer kollektiven Haftung für die Staatsverschuldung. Man verweigerte jedoch solche Schritte in Richtung auf einen europäischen Staat und tolerierte darüber hinaus im Euroraum die Koexistenz von zwei gegensätzlichen Wachstumsmodellen, deren fatales Zusammenspiel das von Anfang an bestehende ökonomische Nord-Süd-Gefälle immer mehr verstärkte.

Dass diese potentiellen Probleme schließlich schlagend wurden, ist eine unmittelbare Folge der von den USA ausgehenden Finanzkrise. Denn die europäischen Banken waren stark in die US-Kreditblase verwickelt und mussten bei deren Platzen mit Milliardenhilfen der Europäischen Regierungen gerettet werden. Weitere Milliardenspritzen waren dann nötig, um die im Verlauf der Finanzkrise in Schockstarre verfallene Wirtschaft anzukurbeln. Vor allem jene Staaten, die schon davor im Zusammenhang mit dem skizzierten innereuropäischen Wirtschaftsgefälle relativ hohe Budgetdefizite hatten, erreichten damit ein so hohes Verschuldungsniveau, dass die Ratingagenturen ihre Anleihen auf Ramschniveau herabstuften. Das war Startschuss für die Eurokrise, denn nun stiegen die Zinsen der von diesen Staaten benötigten neuen Anleihen so stark an, dass ihre weitere Finanzierung ohne externe Unterstützung durch die übrigen Euroländer nicht mehr möglich war.

Whatever it takes

Die Europäische Zentralbank reagierte früher und entschlossener auf die Eurokrise als die übrigen EU-Institutionen. Um zu verstehen, wie es dazu kam, muss man sich zunächst vergegenwärtigen, dass die Zentralbanken seit der Finanzkrise generell eine wesentlich wichtigere und vor allem selbständigere Rolle spielen als in den dieser Krise vorangehenden Jahrzehnten – und das aus gutem Grund:

Spätestens seit den 1990er-Jahren war allgemein bekannt, dass sich in der globalen Finanzwirtschaft gewaltige systemische Risiken aufgebaut hatten. Als die befürchtete Krise tatsächlich ausbrach, wurden von den Zentralbanken gigantische Auffangnetze für das gesamte Finanzsystem gespannt und neuartige Notfallinterventionen praktiziert. Im Zuge der anschließenden Krisen um den Euro und die Pandemie entwickelten sie diese Sicherheitsstrukturen dann weiter, sodass sie mittlerweile dauerhafte Elemente unseres (para-)staatlichen Institutionenensembles darstellen.[i] Die Zentralbanken selbst wuchsen dadurch in die Rolle von selbständig agierenden Rettern und Garanten des marktliberal umgestalteten Finanzsystems hinein.

In dieser Rolle schnürte die EZB schon in der Anfangsphase der Staatsschuldenkrise durch die Vergabe sogenannter Target-Kredite an die Zentralbanken der Krisenstaaten ein erstes heimliches Hilfspaket. Ihr nächster entscheidender Schritt zur Bewältigung der Eurokrise erfolgte dann auf deren Höhepunkt, im Sommer des Jahres 2012. Damals herrschte auf den Finanzmärkten eine äußerst nervöse Stimmung, welche die Zinsen für die Anleihen der Krisenstaaten noch weiter in die Höhe zu treiben drohte. In dieser kritischen Situation äußerte der damalige Präsident der EZB, Mario Draghi seine Bereitschaft, was auch immer nötig sei („Whatever it takes„) zu tun, um den Euro zu verteidigen. Das wurde von den Finanzakteuren als Selbstverpflichtung der EZB interpretiert, notfalls unbegrenzt Anleihen von krisengeplagten Eurozone-Ländern zu kaufen. Und allein der allgemeine Glaube an die Ernsthaftigkeit dieser Selbstverpflichtung führte dann tatsächlich zu dem von Draghi angestrebten Beruhigungseffekt.

Das unmittelbare Auseinanderbrechen der Eurozone konnte damals zwar verhindert werden, ihre strukturellen Probleme bestanden aber weiter und wurden verschärft durch allgemeines öffentliches Sparen (Stichwort: „Sparpakt“). Mit Senkungen der Leitzinsen bis unter die Nulllinie und der erst zögerlich, ab 2015 aber energisch betriebenen quantitativen Lockerung (QE) versuchte die EZB in der Folge die Wirtschaft der Eurozone anzukurbeln und die in einigen Ländern auftretenden Deflationstendenzen zu bekämpfen. Sie konnte aber mit diesen Bemühungen die destruktiven Effekte der von den Eurostaaten betriebenen Austeritätspolitik nur mildern und nicht übertreffen.

Oder doch lieber expansive Budgetpolitik?

In Summe pumpten die Zentralbanken durch ihre Politik der quantitativen Lockerung seit der Finanzkrise gigantischen Geldmengen in die Weltwirtschaft. Das Problem dabei: Diese Maßnahme steuert ihr Ziel der Wirtschaftsbelebung nur auf sehr indirektem Weg und unter Inkaufnahme von zum Teil völlig unkontrollierbaren stabilitätsgefährdenden Nebeneffekten an.

So führte das in der Eurokrise von der EZB im Rahmen des QE ins Spiel gebrachte Zentralbankgeld zwar zu einer sehr starken zusätzlichen Kreditvergabe mit entsprechend starkem Wachstum der Geldmenge. Sehr große Teile des zusätzlichen Gelds flossen aber nicht in produktive Investitionen. Sie dienten vielmehr dem Erwerb von Vermögenswerten auf den Aktien- und Immobilienmärkten, wo sie zur Entstehung riesiger Vermögenspreisblasen beitrugen. Vor allem im Immobiliensektor hatte das verheerende soziale und ökonomische Folgen. Denn die durch die zusätzliche Nachfrage betuchter Investoren verursachten Preisanstiege machten das Wohnen in unseren Städten zunehmend unleistbar.

Bei den Auswirkungen der expansiven Geldpolitik ist ferner zu beachten, dass heutzutage ein bedeutender Teil des Kreditgeschäfts nicht über herkömmliche Bankkredite läuft, sondern durch die Schattenbanken abgewickelt wird. Da die seit der Finanzkrise von den Zentralbanken betriebene quantitative Lockerung auch deren Geldschöpfung einen Anschub erteilte, brachte sie zusätzliche Unsicherheit und Krisengefahr ins Finanzsystem. Denn der Wert des von den Schattenbanken geschöpften Geldes ist weniger gut abgesichert als jener des beim Bankkredit geschöpften Giralgelds.

Die Zentralbanken vergrößerten aber mit ihrer expansiven Geldpolitik nicht nur die Spielräume zur Entstehung destabilisierender Finanzprozesse. Vielmehr stützte und verstärkte ihr Agieren auch die durch die neoliberale Umgestaltung der Wirtschaft in die Wege geleitete Umverteilung von unten nach oben. Denn es stärkte letztlich die Position der von den Krisen bedrohten großen Finanzakteure und ließ ihre Vermögen weiter wachsen.

Berücksichtigt man all diese Nebeneffekte der expansiven Geldpolitik kann man gut verstehen, warum sich im Gefolge der Eurokrise immer mehr Ökonom*innen für die Thesen der Modern Monetary Theory erwärmten. Denn aus deren Perspektive wäre es angesichts der damals nahe der Nulllinie und sogar darunter liegenden Zinsen keinerlei Problem gewesen, wenn die Zentralbanken dazu übergegangen wären, Staatsanleihen nicht bloß auf den Sekundärmärkten sondern bei den Staaten selbst zu kaufen. In der Folge hätte man ohne Zwischenschaltung von Kreditmärkten und privaten Investoren ganz gezielt produktive wirtschaftliche Aktivitäten ankurbeln, Arbeitsplätze schaffen und soziale Bedürfnisse erfüllen können, indem man in die technische Infrastruktur, ins Bildungs- und Gesundheitswesen sowie in andere von m.o.w. großen Investitionsrückständen gekennzeichnete Schlüsselsektoren investiert.

Problemstellung

Weil sich trotz expansiver Geldpolitik im Verlauf der Eurokrise keine inflationären Tendenzen zeigten, begann in der Mainstream-Ökonomie ein großes Rätselraten über die Gründe für diese aus ihrer Perspektive überraschende Entwicklung. Die Vertreter*innen der MMT dagegen sahen im Ausbleiben der Inflation auf den Gütermärkten eine glänzende Bestätigung der von ihnen postulierten Spielräume für eine expansive Geld- und Fiskalpolitik. Ihre Freude sollte allerdings nur von kurzer Dauer sein. Als dann nämlich am Beginn der zwanziger Jahre erste Tendenzen eines Preisauftriebs auftraten und sich schnell zu einer richtigen Inflation auswuchsen, war es die Mainstream-Ökonomie, die endlich ihre Sicht der Dinge bestätigt wähnte. Selbst manche linke Ökonom*innen sahen nun in der wieder auferstandenen Inflation eine partielle Widerlegung zentraler Thesen der MMT. Zumeist jedoch zog man sich im linken Lager auf die postkeynesianische Grundüberzeugung zurück, dass der Preis nur auf den Rohstoff- und Energiemärkten durch das Spiel von Angebot und Nachfrage bestimmt werde, während er bei Industrieprodukten primär kostendeterminiert sei. Dementsprechend machte man neben den externen Faktoren (Pandemie, Ukrainekrieg) weniger die expansive Geldpolitik für das Ausmaß der jüngsten Inflation verantwortlich als eine „Profit-Preis-Spirale“, welche die in der Energiekrise am längeren Ast sitzenden Energie-Anbieter in Gang gesetzt hätten.

Mittlerweile spricht einiges für diese die MMT entlastende Einschätzung. Denn im Euroraum gehen die Inflationsraten wieder deutlich zurück und liegen im Mittel nur mehr wenig über dem von der EZB angestrebten Zielwert von 2%. Es bleibt jedoch offen, ob diese Entwicklung wirklich zur Gänze mit der Entspannung am Energiesektor und anderen externen Faktoren erklärt werden kann, bzw. in welchem Ausmaß sie nicht doch auch auf die nachträglichen Korrekturen einer davor womöglich überschießend expansiven Geld- und Fiskalpolitik zurückzuführen ist. Im Zuge der anhaltenden Auseinandersetzungen um die MMT kommt es daher nun zum Überdenken ihrer wichtigsten Thesen und der daraus abzuleitenden geld- und fiskalpolitischen Empfehlungen.

Meine anschließenden Überlegungen beteiligen sich nicht unmittelbar an diesen ökonomischen Fachdiskussionen über die Ursachen des An- und Abschwellens der Inflation und über die daraus für die MMT abzuleitenden Schlussfolgerungen. Das Anliegen der nun folgenden, aus sozialphilosophischer Perspektive formulierten Gedanken ist vielmehr der Hinweis auf gravierende Mängel in den geldtheoretischen Grundlagen der MMT. Trotz ihres bloßen Hintergrundcharakters haben die dabei anzusprechenden Probleme höchste Relevanz für die aktuellen Fachdebatten. Muss doch jeder Fehler in den Basisannahmen eines ökonomischen Ansatzes sowohl die Qualität der mit diesem theoretischen Werkzeug anzustellenden Wirtschaftsbeobachtungen als auch die Brauchbarkeit der aus ihnen ableitbaren Handlungsempfehlungen beeinträchtigen.

2. Zu den geldtheoretischen Grundlagen der MMT

Ich habe für die Auseinandersetzung mit den geldtheoretischen Implikationen der Modern Monetary Theorie aus den eingangs erwähnten Publikationen zwei Bücher ausgewählt, die beide (wohl nicht ganz zufällig) mit der Maschinenmetapher arbeiten. Das eine trägt dieses Bild schon in seinem Titel, denn es handelt sich dabei um Aaron Sahrs Reflexionen über „Die monetäre Maschine“. Während dieser Text jene komplexen Prozesse offen legen möchte, in denen das Geld nicht nur erwirtschaftet oder verteilt, sondern überhaupt erst geschaffen wird, widmet sich das andere von Joscha Wullweber verfasste Buch den nicht minder komplexen Vorgängen bei der Bewältigung von Finanzmarktkrisen im „Zentralbankkapitalismus“. Die Maschinenmetapher wird auch hier schon an prominenter Stelle, nämlich im sogenannten Schmutztitel des Buches bemüht, wo wir erfahren, dass dessen Autor „in den Maschinenraum des modernen Kapitalismus hinab(steigt).

Die Bilder der Maschine bzw. des Maschinenraums verweisen auf eine von Menschen geschaffene (finanz-)technische Großstruktur. Deren äußere Erscheinung wird von stahlhart glänzenden Sachzwängen geprägt, die ein ihrer inneren Mechanik zugrunde liegendes Herrschaftsmuster verbergen. Ein Herrschaftsmuster, das wir zunächst durchschauen und danach aufbrechen müssen, damit diese soziale Apparatur künftig im Interesse der großen Mehrheit der Bevölkerung funktionieren kann. Mit anderen Worten: beide Autoren widmen sich dem höchst lobenswerten Bemühen um die Aufbereitung der argumentativen Basis für eine Demokratisierung der Geldpolitik. Während Sahr dies im Namen der MMT tut, beruft sich Wullweber nicht explizit auf jene Theorie. Auch sein Konzept weist jedoch große Nähe zu den geldtheoretischen Grundannahmen der MMT auf.

Die Tücken der Maschinenmetapher

Zuerst zu dem Buch von Aaron Sahr. Wenn er von einer monetären Maschine spricht, verfolgt er neben dem eben angesprochenen politischen Ziel auch eine analytische Absicht. Er möchte eine neue Betrachtung des Gelds ermöglichen, welche sich gegen die herkömmliche Sicht auf das Geld richtet, die er nicht nur bei der Mainstream-Ökonomie, sondern auch bei Marx, dem Ahnvater der linken Heterodoxie, ortet. Für diese von ihm kritisierte Sicht sei das Geld ein bloßes Werkzeug zur Vermittlung des Warentausches. Er wolle demgegenüber mit dem Bild der Maschine deutlich machen, dass das monetäre System mehr ist als eine einfache Ansammlung solcher Werkzeuge. Jenes herkömmliche Verständnis des Gelds als bloßes Tauschmittel führe nämlich zur Ausblendung des Vorgangs der Geldschöpfung aus dem öffentlichen Bewusstsein, wogegen das Maschinen-Paradigma die „Geldschöpfung als eine der wichtigsten Machtressourcen im Herzen des modernen Kapitalismus“ sichtbar mache. Sahr verfolgt somit ein ideologiekritisches Anliegen: Er will das herrschende Geldverständnis entmystifizieren[ii], indem er nachweist, wie die vom Neoliberalismus geprägte Mainstream-Ökonomie den Vorgang der Geldschöpfung mittels einer Ideologie des unpolitischen Geldes“ (S. 34)[iii] entpolitisiert, um auf diese Weise sicher zu stellen, dass es in allen Budgetdebatten immer nur um Steuereinnahmen und nie um Fragen der Geldschöpfung geht.

Auf die reduktionistische Sicht der Werkzeugtheorie des Geldes antwortet Sahr namens der MMT mit seiner Maschinenmetapher, die es ermöglichen soll, den politischen Prozess der Geldschöpfung ernst zu nehmen. Denn die „monetäre Maschine“ sei eben keine bloße Ansammlung von Tauschwerkzeugen, sondern „eine einzige große Struktur, in der alle Bauteile – die Geldbeträge – miteinander so verbunden sind wie die Komponenten einer gigantischen Maschinerie.“ Und als diese gigantische Maschine habe das Geld „viel Ähnlichkeit mit anderen großen Versorgungssystemen, etwa dem Versorgungssystem für elektrische Energie. Statt als Werkzeug ist es also adäquater, das Geld als eine Infrastruktur zu beschreiben.“ (S. 41)

Diese Betrachtung von Geld als eine systemisch strukturierte Ganzheit, die gleich einer Maschine durch dynamische Verschaltung ihrer interdependenten Teile Leistungen erbringt, hat für die in Sahrs Buch präsentierte MMT eine entscheidende Konsequenz bei der Wahl des begrifflichen Bezugsrahmens ihrer Wirtschaftsbetrachtung. Während die hinter dem Werkzeugmodell des Geldes stehenden Mainstream-Theoretiker*innen den Tauschals fundamentalen Begriff zur Beschreibung von Ökonomie mobilisieren“ (S. 38), denkt eine vom Paradigma der Geldmaschine ausgehende Wirtschaftstheorie in Bilanzen. Wer sich auf diese Betrachtungsweise einlässt, macht anstelle des Tauschs die Schuld zum zentralen Begriff seiner Ökonomie und sieht die Wirtschaftssubjekte nicht primär als Waren produzierende und tauschende Marktteilnehmer, sondern als „Akteure, die anderen Akteuren gegenüber (Zahlungs-)Verpflichtungen eingehen und sich darum bemühen (müssen), diese Pflichten zu erfüllen“.(S. 39)

Mittels dieses vom Bilanzdenken geprägten Bilds einer monetären Maschine, in der die Schulden wie Zahnräder ineinandergreifen, versucht die MMT sich die ökonomischen „Akteure buchstäblich als Bilanzen vorzustellen“, um sie alsdann in ihrer „relationalen Verbundenheit miteinander zu untersuchen“. ‚Zu Wirtschaften‘ heißt daher aus ihrer Perspektive „sich beieinander zu verschulden und die Vergeltung dieser Schulden zu organisieren“. Und weil die so betrachtete Wirtschaft „der ständig ablaufende Organisationsprozess von Bilanzen zur Generierung stabiler und funktionierender Ver- und Entschuldung“ ist, sind für die MMT Zahlungsverpflichtungen (Schulden) „keine moralisch womöglich sogar fragwürdigen Hilfsmittel“, sondern „die Matrix der Ökonomie und damit unverzichtbar und notwendig.“(S. 40)

Mein Kommentar zu diesem Blick der MMT auf die Wirtschaft beginnt mit Zustimmung

  • zur Betonung des systemischen Charakters des Geldes als einer Infrastruktur der kapitalistischen Marktwirtschaft,
  • zur damit verbundenen Kritik an der in der Mainstream-Ökonomie dominierenden Reduktion des Geldes auf ein bloßes Tauschmittel
  • und zur aus dieser Kritik folgenden Ablehnung der Theorie des unpolitischen Geldes.

Zurückzuweisen ist allerdings Sahrs These, dass auch Marx in der Geldtheorie Teil des Problems, nicht der Lösung sei, weil er ebenfalls jene problematische Tauschmitteltheorie des Geldes vertreten habe. Denn bei Marx und in der an ihn anknüpfenden marxistischen Ökonomie wird scharfe Kritik an den Geldkonzepten des vom Marxismus als ‚bürgerliche Ökonomie‘ bezeichneten Mainstreams geübt. Die Rolle als Tauschmittel ist aus marxistischer Perspektive nur eine von mehreren in unterschiedlichen Situationen und Entwicklungsstadien der Wirtschaft vom Geld ausgeübten Funktionen. Im Kapitalismus wird das Geld in dieser von mir geteilten Sicht dann geradezu systemkonstitutiv! Denn die Steuerung des kollektiven Produktionsprozesses erfolgt hier über den in Geld ausgedrückten und gemessenen Profit. Geld bildet den Ausgangs- und Endpunkt der Selbstverwertung des Kapitals und ist damit der Maßstab seiner Verwertung.

Aus dieser marxistischen Perspektive erscheint nun aber der von Sahr namens der MMT zurecht behauptete systemische Charakter des Geldes in völlig neuem Licht: Das unsere Wirtschaft systemisch strukturierende Ganze ist nicht das Geld sondern die kapitalistisch organisierte gesellschaftliche Arbeit. Wohl hat auch das Geld systemischen Charakter, es ist jedoch bloß ein Subsystem jenes übergeordneten Gesamtsystems der gesellschaftlichen Arbeit. Wer diese entscheidende Akzentverschiebung akzeptiert, kommt nicht umhin, weitere Einsprüche gegen Sahrs Thesen anzumelden:

Zunächst ist die allzu forsche Abwendung vom Fokus der Mainstream-Ökonomie auf den Tausch in Frage zu stellen. Denn der Tausch der Waren ist unmittelbar verknüpft mit deren Produktion, welche in ihrer Steuerung durch den Profit die Dynamik unseres Wirtschaftssystems bestimmt. Die klassische Ökonomie bis einschließlich Marx hatte diese Produktion noch im Blick, wenn sie nach dem allen Marktpreisen zugrunde liegenden Arbeitsgehalt (sprich: Arbeitswert) der Waren fragte. Indem sich die bürgerlichen Ökonomen im Verlauf des neunzehnten Jahrhunderts immer öfter bloß mit den an der Oberfläche des Marktes zu beobachtenden Preisbewegungen befassten und die diesen zugrunde liegenden Entwicklungen auf der Tiefenebene der Arbeitswerte ignorierten, reduzierten sie die Erklärungskraft ihrer Hypothesen. Wenn nun die MMT ihren Fokus gar auch noch von der Aktivität des Tauschens abwendet, dann treibt sie diesen hochproblematischen Abstraktionsprozess auf die Spitze.

Ihre im Vergleich zur Neoklassik noch stärker akzentuierte Ausblendung der Produktionssphäre der kapitalistischen Wirtschaft führt in Verbindung mit dem davor bemängelten Verfehlen des Stellenwerts der monetären Maschine als ein bloßes Subsystem des Gesamtsystems ‚Kapitalismus‘ zum Hauptproblem der MMT: Indem sie mit ihrer Bilanzbrille auf das Netzwerk der Zahlungsflüsse zwischen Unternehmen, Privathaushalten und Staaten blickt, kann sie bloß rein deskriptiv bestehende bzw. sich auf- oder abbauende Ungleichgewichte zwischen den Schulden und Vermögenspositionen der von ihr analysierten Wirtschaftssektoren registrieren. Ein tieferes Verständnis für die Ursachen der von ihr auf der Ebene der Bilanzen registrierten Zustände und Entwicklungen bleibt ihr aber verschlossen.[iv] Diese Ursachen sind nämlich nur im Kontext der Dynamik des Gesamtsystems der kapitalistischen Wirtschaft zu begreifen.

Weil die MMT durch ihre Konzentration auf mit einander verschränkte Bilanzen jene Dynamik des Gesamtsystems zu wenig ernst nimmt, hat sie große Probleme bei der korrekten Bestimmung von Umfang und Grenzen des Potentials der von ihr anvisierten expansiveren Fiskalpolitik. Die Argumente ihrer Vertreter*innen im Diskurs mit der auf größere finanzpolitische Vorsicht drängenden Mainstream-Ökonomie stehen daher oft auf tönernen Füßen – was gerade jene Beobachter*innen dieses Diskurses schmerzt, die grundsätzliche Sympathien für die von der MMT anvisierte Fiskalpolitik mit größerer wirtschafts- und gesellschaftspolitischer Verantwortung hegen.

Tauschwerte ohne Substanz

Wie Sahr macht auch Wullweber bei seiner Analyse des Zentralbankkapitalismus einen großen Bogen um die Produktionssphäre und fundiert seine geldtheoretischen Reflexionen bloß in einer Betrachtung der Tauschbeziehungen. Geld gestattet aus seiner Sicht „den Tausch von Dingen, die nichts miteinander gemein haben“ (S. 56)[v] – und genau an diesem Punkt liegt der Hund begraben. Denn die getauschten Dinge haben nur im Hinblick auf ihren jeweiligen Gebrauchswert nichts gemein. Ihr Tausch wird dadurch ermöglicht, dass sie alle Tauschwert besitzen. Diese an der Oberfläche des Marktes erscheinende Eigenschaft aber ist Ausdruck einer noch tiefer liegenden Gemeinsamkeit, die Wullweber ausblendet. Sie besteht darin, dass alle getauschten Dinge Resultate einer kollektiv vollzogenen arbeitsteiligen Produktion sind. In jedem von ihnen ’steckt‘ deshalb (bildlich gesprochen) gesellschaftliche Arbeit.

Weil die arbeitsteilige Produktion zwar kollektiv vollbracht, aber nicht gemeinsam geplant und dem Konsum zugeführt wird, müssen ihre Resultate auf dem Markt via Tausch an die Produzenten verteilt werden. Die Produzenten verfolgen bei diesem Tausch verschiedene gemeinsame Absichten.[vi] Eine davon besteht darin, nur solche Dinge auszutauschen, die (bei langfristiger Durchschnittsbetrachtung) jeweils gleiche Gehalte an gesellschaftlicher Arbeit repräsentieren. Daraus folgt, dass der Tauschwert jedes Produkts auf seinem Gehalt an abstrakter Arbeit fußt – ‚abstrakt‘ deshalb, weil das beim Tausch stattfindende Vergleichen der jeweiligen Arbeitsgehalte nicht unmittelbar bei den konkreten, gebrauchswertschaffenden Gestalten der verschiedenen Arbeiten ansetzen kann, sondern diese gleichsam ‚umrechnen‘ muss in kommensurable Größen.

Soweit der Grundgedanke des Marxschen Konzepts der Arbeitswerte, das leider häufig so gründlich missverstanden wird, dass sich Marx im Grab umdrehen würde, wenn er wüsste, was viele Marxisten aus seinem Wertbegriff machten. Sie verwandelten ihn nämlich in eine objektivistisch gedachte Eigenschaft, die trotz aller gegenteiligen Beteuerungen wie ein natürlicher Wert verstanden wird. Wenn daher Wullweber Vorbehalt gegen die marxistische „Substanztheorie“ (S. 66) des Werts äußert, ist er durchaus im Recht – allerdings nur insoweit, als sich diese Kritik auf jenen Objektivismus bezieht, der den Wert tatsächlich als ein gänzlich außerhalb des gesellschaftlichen Handelns angesiedeltes Ding missversteht. Wullwebers Vorbehalt ist jedoch insoweit überschießend, als er bei seinen werttheoretischen Überlegungen nicht nur solch dingliche Substanzvorstellungen ablehnt, sondern Substanzkonzepte jeglicher Art. Er verfehlt damit den ökonomischen Wert, weil der so etwas wie eine gesellschaftlich konstituierte Substanz ist. Anders gesagt: Wullweber beharrt völlig zurecht darauf, dass sich im Warenwert „ein gesellschaftliches Verhältnis“ (S. 67) ausdrückt, irrt aber mit dem daraus abgeleiteten Schluss, dass der Warenwert deshalb nur relationalen Charakter haben kann.

Dieser Punkt ist so wichtig, dass er noch etwas genauer erläutert werden soll:

Das gesellschaftliche Verhältnis, auf dessen Basis sich der Arbeitswert konstituiert, fußt auf der jedem Tauschvorgang vorgelagerten gemeinsamen Absicht aller Marktteilnehmer, kollektiv zu produzieren und sich dabei die Arbeit zu teilen. Die aus dieser Absicht resultierende gesellschaftliche Arbeit ist die Basis aller auf dem Markt gehandelten Produkte und besteht aus einem Geflecht von unzähligen Einzelarbeiten. Die Wertverhältnisse zwischen den durch diese Arbeiten erzeugten Produkten entsprechen den Relationen zwischen ihren jeweiligen Gehalten an abstrakter Arbeit. Die in der Gesamtheit aller auf dem Markt gehandelten Produkte verkörperte gesellschaftliche Arbeit hat aber abgesehen von diesen internen Relationen auch ein bestimmtes Gesamtvolumen. Denn das auf dem Markt zusammentretende Kollektiv kann ja in Summe mehr oder weniger abstrakte Arbeit aufbringen. Dieses mehr oder weniger große Gesamtvolumen abstrakter Arbeit aber konstituiert die absolute Größe, d.h. den Substanzcharakter des Arbeitswerts jedes einzelnen der auf dem Markt gehandelten Produkte und natürlich auch ihrer Summe.

Nun vom richtig verstandenen Marxschen Wertbegriff zu Wullwebers Wertbegriff, der wohl nicht ganz untypisch für viele der im Umfeld der MMT angesiedelten Positionen ist:

Wullweber erkennt zwar richtig, dass sich im Warenwert ein gesellschaftliches Verhältnis ausdrückt, verortet dieses Verhältnis aber fälschlicherweise erst im Tauschvorgang und nicht in dem allem Tausch vorgelagerten arbeitsteiligen Produktionsprozess. Aus seiner Sicht konstituiert sich der Wert der Waren daher erst am Markt in den beim Tausch stattfindenden Vorgängen, in denen er „gesellschaftlich verhandelt“ (S. 67) wird.

Wegen dieser Ausblendung der Beziehung zwischen dem Warenwert und der die Waren erzeugenden gesellschaftlichen Arbeit hat Wullweber kein Verständnis für den auf das Volumen der gesellschaftlichen Arbeit bezogenen Substanzcharakter des Arbeitswerts. Er kommt in seinem Buch nur implizit, d.h. als Leerstelle vor. Zum Beispiel in Fußnote 11 (S. 50), wo er darauf hinweist, dass „bei starker Geldschöpfungsaktivität“ der Wert einer Währung gegenüber anderen Währungen in der Regel abnimmt. Hier muss man sich fragen, was der Maßstab für eine starke, bzw. zu starke Geldschöpfungsaktivität ist. Er kann wohl nur im Gesamtvolumen der in den aktuellen und künftigen Produkten der betreffenden Volkswirtschaft verkörperten gesellschaftlichen Arbeit liegen.

Geld ohne Bezug zur gesellschaftlichen Arbeit

Nun zu der aus Wullwebers Wertbegriff folgenden Geldtheorie. „Die einzige Gemeinsamkeit, die alle Waren teilen,“ liegt für Wullweber „darin, dass sie in ein Verhältnis zu einer dritten Instanz gestellt werden … – dem Geld“ (S. 73). Weil er den allem Tausch vorangehenden kollektiven Produktionsprozess aus seinen Überlegungen zum Tauschwert ausklammert, ist jene dritte Instanz für ihn nicht Ausdruck des in jeder Ware durch ihren Gehalt an abstrakter Arbeit verkörperten Arbeitswerts. Sie ist vielmehr bloßer Ausdruck für das aus seiner Perspektive erst im Tauschprozess erscheinende „Wertverhältnis der Waren untereinander“ (S. 69). Diese Abkoppelung des Geldbegriffs von der Sphäre der gesellschaftlichen Arbeit führt (wie schon erwähnt) dazu, dass ihm jeder Bezug zwischen der Menge des zirkulierenden Geldes und dem Gesamtvolumen der von den Marktteilnehmern geleisteten und künftig leistbaren Arbeit verloren geht. Mit diesem Bezug aber verliert er zugleich den Maßstab für die Bestimmung des sinnvollen Ausmaßes der Geldschöpfung.

Bevor ich mich näher mit den Themen ‚Geldschöpfung‘ und ‚Krise‘ beschäftige, ergänze ich nun meine Kritik an Wullwebers Geldtheorie durch eine Anmerkung zu seiner These, dass Geld ein „allgemein akzeptierter Kredit“ bzw. „ein allgemein akzeptierter Schuldschein“ ist, der jederzeit „weitergereicht bzw. übertragen“ werden kann. (S. 82) Wullweber liegt damit ganz auf der Linie der MMT, deren zentrale geldtheoretische Prämisse ebenfalls besagt, dass Geld seinem Wesen nach Kredit ist.

Diese Aussage hält einer genaueren Betrachtung vor dem Hintergrund der Theorie des Arbeitswerts nicht stand. Denn aus deren Perspektive ist das vom Käufer einer Ware deren Verkäufer übergebene Geld kein Zahlungsversprechen sondern allgemeiner Ausdruck einer vom Käufer bereits geleisteten und in Warenform auf den Markt gebrachten Arbeit, für die er seinerzeit selbst das nun an den Verkäufer weitergegebene Geld erhalten hat. Nur in jenen Fällen, in denen das beim Kauf übergebene Geld aus einem vom Käufer aufgenommenen Kredit stammt, ist Geld Kredit. Aber auch hier ist es letztlich bloßer Ausdruck von wertschaffender Arbeit – allerdings einer, die erst künftig geleistet werden wird. Denn bei der Aufnahme jenes Kredits versprach der Käufer seiner Bank, künftig ein dem Arbeitswert des Kredits entsprechendes Ausmaß an abstrakter Arbeit in Warenform in den Markt einzubringen, um mit dem dafür erlösten Geld den Kredit zurückzuzahlen.

Geldschöpfung aus dem Nichts

Weil Wullwebers Werttheorie keine Fundierung des Geldes in wertschaffender Arbeit gestattet, ist es durchaus konsequent, wenn für ihn (auch wieder im Einklang mit der MMT!) bei jeder Kreditvergabe durch die Banken neues Geld ex nihilo (aus dem Nichts)“ (S. 101) erschaffen wird. Aus der Perspektive der Arbeitswerttheorie löst sich dieses Wunder dagegen in einen sehr profanen, allerdings delikaten Vorgang auf: Während für diese Theorie das bereits zirkulierende Geld als allgemeiner Ausdruck der bereits geleisteten und in vorhandenen Waren vergegenständlichten Arbeit fungiert, ist für sie, wie schon im vorangehenden Abschnitt angedeutet, das im Kredit geschöpfte Geld allgemeiner Ausdruck von künftig zu leistender wertschaffender Arbeit.

Die Folgen dieser unterschiedlichen Sicht auf die Geldschöpfung durch Kredit sind gravierend! Nichts ist tatsächlich nichts, weshalb es nichts kostet und, so paradox das auch klingt, in unendlich großer Menge vorhanden ist. Aus Wullwebers Perspektive existieren daher „für diese Form der Geldschöpfung … keine natürlichen Grenzen.“ (S. 102) Aus der Perspektive des Arbeitswerts dagegen sind Kredite immer nur Vorgriffe auf erst zu schaffenden Wert. Die Grenzen der Staatsverschuldung sind von diesem Standpunkt aus im Gegensatz zur Annahme der MMT nicht einfach mit dem Volumen der unausgelasteten Produktionskapazitäten gegeben, sondern mit dem Vertrauen des Kapitals in das Potential der jeweiligen Volkswirtschaft, künftig jene Menge an Wert und Mehrwert zu erzeugen, die zur Bedienung der Staatsschuld erforderlich sein wird.

Geldtheorie und Krisentheorie

Was Wullweber beim Thema ‚Krise‘ mit dem Marxismus eint, ist die Einsicht, dass Krisen im kapitalistischen Wirtschafts- und Finanzsystem unvermeidbar sind. Für den Marxismus wurzelt diese Krisenhaftigkeit nicht im Finanzsystem sondern in der sogenannten Realwirtschaft. Denn für ihn ist alles Wirtschaften ein kollektives Produzieren von Arbeitswerten, in dessen Kontext das Geld bloß die Rolle eines sich unter bestimmten Produktionsbedingungen notwendigerweise entwickelnden Organisations- und Steuerungsinstruments spielt. Wullwebers Konzentration auf die Finanzkrisen ist zwar vor dem Hintergrund seiner finanzwirtschaftlichen Fragestellungen verständlich. Ich vermisse aber die Feststellung, dass die von ihm erörterten Finanzkrisen letztlich vor dem Hintergrund der Krise des übergeordneten Gesamtsystems analysiert werden müssten. Die Ursache des bei ihm an diesem Punkt offenbar fehlenden Problembewusstseins finde ich wieder in seiner die Produktion der Werte ausklammernden Werttheorie.

Diese Ausblendung des Produktionsaspekts führt beim Thema ‚Krise‘ zu Fehlern in Wullwebers Argumentation. Ein Beispiel dafür ist seine Kritik an den Rationalitätsannahmen der neoklassischen Ökonomie. Ihr wirft er vor, sie gehe von der falschen Annahme aus, „dass Investoren langfristig rational handeln“. Er selbst vertritt die konträre These, dass Investoren „häufig irrational und emotional“ (S. 117) agieren und sieht in dieser Tendenz die unvermeidbare Ursache von Krisen. Aus der Perspektive der marxistischen Ökonomie ist demgegenüber festzuhalten, dass die kapitalistische Wirtschaft selbst bei völlig rationalem Verhalten der Investoren notwendig ein zyklisches Verlaufsmuster zeigt. Ursache dafür ist nicht nur die von Marx entdeckte Dynamik der Überakkumulation von Mehrwert. Denn daneben ist auch eine zu den zyklischen Schwanken hinzutretende überzyklisch fallende Tendenz der Profitrate zu berücksichtigen. Diese führt dazu, dass in bestimmten Phasen der Entwicklung des Akkumulationsprozesses einerseits die Schärfe der Krisen zunimmt, währende andererseits die Kraft der Konjunkturaufschwünge nachlässt. Will der Kapitalismus jene kritischen Phasen überleben, muss er jeweils ein neues Akkumulationsmuster entwickeln. Das ist mit so tiefgreifenden Wandlungen seines gesamten soziokulturellen und politischen Überbaues verbunden, dass viele Marxisten vom Übergang zu einem neuen Akkumulationsregime sprechen.

Die Entwicklung des Finanzsektors und seiner Krisen kann nur vor dem Hintergrund dieser im Gesamtsystem der kapitalistischen Ökonomie ablaufenden Prozesse verstanden werden. Wer etwa die Vorgeschichte der globalen Finanzkrise der Jahre 2007 bis 2009 schreiben wollte, hätte davon auszugehen, dass ab der Mitte der neunzehnsiebziger Jahre, als die lange Nachkriegsprosperität zu Ende ging und die Profitraten in den wichtigsten kapitalistischen Metropolen deutlich sanken, einer der eben erwähnten Übergänge zu einem neuen Akkumulationsregime stattfand. Die damalige Antwort des Kapitals auf das Sinken der durchschnittlichen Profitrate lässt sich als Doppelstrategie beschreiben. Zum einen forcierte man nun energisch die bereits davor angelaufene Globalisierung der Kapitalverwertung, welche Massen von unorganisierten Arbeitskräften in den Akkumulationsprozess einschleuste. Zum anderen förderte man die Etablierung neoliberal agierender Regierungen, die den institutionellen Rahmen für eine noch konsequentere Internationalisierung der Produktion schufen und den Druck auf die Arbeitskräfte in den alten Metropolen des Kapitals verschärften.

Das skizzierte Vorgehen verbesserte in den ersten Jahren des nun etablierten neoliberalen Akkumulationsregimes die Mehrwertbilanz der globalen Produktion so stark, dass man den Fall der durchschnittlichen Profitrate vorübergehend stoppen konnte. Die als Begleitmaßnahme zur Globalsierung in die Wege geleitete Dynamisierung des Finanzsektors führte dann aber letztlich zu einer immer stärkeren Vorherrschaft des Finanzkapitals über das Realkapital und damit zu einer neuerlichen Bremsung der realwirtschaftlichen Dynamik. Die globale Finanzkrise war schließlich der Anfang vom Ende der neoliberalen Spielanordnung und zugleich Startschuss für das abermalige Ringen um ein neues Akkumulationsregime, dessen Ausgang sich erst im Gefolge weiterer Krisen entscheiden wird.

Kritik der postkeynesianischen Alternative

Am Ende seines Buches warnt Wullweber davor, „nach Überwindung der Covid-19-Krise zurück zur Schuldenbremse, also zur Reduzierung der Staatsausgaben“ (S. 253) zu gehen. Ich stimme dem prinzipiell zu, vermisse an dieser Stelle aber eine Diskussion der durch die grundlegenden Bewegungsgesetze der kapitalistischen Wirtschaft vorgezeichneten Grenzen von des von der MMT und den Postkeynesianer*innen forcierte Deficitspendings. Vor dem Hintergrund jener Bewegungsgesetze gälte es nämlich zwischen drei Arten von Budgetdefiziten zu unterscheiden:

  1. Defizite, die bei der Bekämpfung akuter zyklischer Krise in Kauf zu nehmen sind,
  2. Defizite, mit denen zukunftsträchtige Investitionen als „soziale, ökologische und nachhaltige Antworten auf den Klimawandel und andere gesellschaftliche Herausforderungen“ (S. 256) finanziert werden, und
  3. schließlich Defizite, die als Dauermedikation gegen den chronischen Mehrwertmangel (sprich: die chronische Wachstumsschwäche) einer vom tendenziellen Fall der Profitrate betroffenen Wirtschaft fungieren.

Meine Skepsis resultiert aus der Betrachtung des Geschehens auf der Tiefenebene der Arbeitswerte und bezieht sich sowohl auf die zweite als auch auf die dritte Art der Budgetdefizite. Jene des zweiten Typs müssten eine so starke wirtschaftliche Dynamik erzeugen, dass es dem Kapitalismus wieder gelingt, die für eine Erholung der Renditen und die Bedienung der Schulden erforderliche Mehrwertmasse zu produzieren. Angesichts der tiefen Spaltung der Gesellschaft sehe ich sehr schlechte Chancen für die Realisierung eines entsprechend groß angelegten sozialdemokratischen New Deals, bei dem Kapital und Arbeit vorübergehend an einem Strang ziehen und so jene Rückkoppelungseffekte erzeugen, die unerlässlich wären für einen Erfolg dieses zweiten Typs des Deficitspendings.

Wegen der nach verschiedensten Richtungen hin einzugehenden politischen Kompromisse droht ein Szenario, in dem es letztlich nur zu der dritten Art des Deficitspendings kommt. An diesem Punkt erhebt sich die Frage, wohin es führt, wenn man versucht, chronischen Mehrwertmangel durch permanente Vorgriffe auf erst zu schaffenden Mehrwert auszugleichen. Die von den Zentralbanken praktizierte Geldschöpfung kann zwar den potentiellen künftigen Mehrwert jederzeit als Geld in die Gegenwart herein holen. In einer auf der privaten Aneignung des Mehrwerts fußenden Wirtschaftsordnung lebt aber die mit dem Deficitspending einhergehende Geldschöpfung letztlich vom Vertrauen aller Investoren darauf, dass die Arbeitskräfte künftig den ihr entsprechenden Mehrwert tatsächlich erzeugen werden. Bricht dieses Vertrauen ein, besteht höchste Gefahr, dass die wirtschaftliche Dynamik dauerhaft zum Erliegen kommt.

Die Schlussfolgerung aus den vorangehenden Überlegungen liegt auf der Hand: Es gibt keine ‚richtige‘ Geld- und Fiskalpolitik, die es ermöglichen würde, innerhalb der Systemgrenzen des Kapitalismus eine dauerhaft krisenresistente, sozial und ökologisch nachhaltige Ökonomie zu etablieren. Wer eine solche Ökonomie ernsthaft anstrebt, sollte die aus einer naiven Rezeption der Modern Monetary Theory resultierenden Illusionen abstreifen und sich mit dem Gedanken anfreunden, dass wir auf dem Weg zu diesem Ziel die Grenzen der kapitalistischen Wirtschaftsordnung überschreiten müssen.


[i]     Vgl. L. Wansleben: Hüter des Schattengeldes. Rezension zu „Zentralbankkapitalismus. Transformationen des globalen Finanzsystems in Krisenzeiten“ von Joscha Wullweber, 2022  
https://www.soziopolis.de/hueter-des-schattengeldes.html

[ii]    Vgl. S. Eich: Die Vergesellschaftung des Geldkraftwerks. Rezension zu „Die monetäre Maschine. Eine Kritik der finanziellen Vernunft“ von Aaron Sahr, 2022      
https://www.soziopolis.de/die-vergesellschaftung-des-geldkraftwerks.html

[iii]   Die hier und in der Folge nach den jeweiligen Zitaten in Klammern angeführten Seitenangaben beziehen sich auf Sahrs Buch „Die monetäre Maschine. Eine Kritik der finanziellen Vernunft „.

[iv]   Vgl. I. Stützle: Money makes the world go green? Eine Kritik der Modern Monetary Theory als geldtheoretisches Konzept, PROKLA. Zeitschrift für kritische Sozialwissenschaft, 51. Jg (2021) Nr. 1, S. 71-94

[v]    Alle in der Folge angeführten Seitenangaben beziehen sich auf das Buch „Zentralbankkapitalismus. Transformationen des globalen Finanzsystems in Krisenzeiten“

[vi]   Ich habe sie auf S. 49 ff. meines Buchs „Kritik des Arbeitswerts. Zum zentralen Begriff der ökonomischen Theorie von Karl Marx“ im Detail erläutert.

Bei diesem Text handelt es sich um eine stark gekürzte Fassung eines Aufsatzes, dessen Langfassung über folgende E-Mail-Adresse beim Autor bezogen werden kann: karl.czasny@aon.at